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smart fabrik

top Was ist neu an der "neuen Fabrik"?

Wenn wir von der SMART-Fabrik reden, meinen wir immer den gesamten industriellen Komplex "Smartville", wie diese moderne Fabrik vom Unternehmer getauft wurde. Rechtlich betrachtet besteht sie aus dem Montagewerk der Smartfirma MCC (Micro Compact Car, heute eine hundertprozentige Tochter von Daimler-Chrysler) und 13 sogenannten "Systempartnern". Diese werden meistens als "Zulieferer" bezeichnet, was einen falschen Eindruck vermittelt. Produktionstechnisch handelt es sich um eine integrierte Fabrik auf einem geschlossenen WerksgeIände mit zentraler Zufahrt.

Unter dem Kuratorium des Direktors des Kunsthauses Bregenz - Herrn Prof. Edelbert Köb - luden wir die Künstler Silvie Fleury (CH), Markus Geiger (CH), Richard Hoeck (A), Leni Hoffmann (D), Birgit Jürgenssen (A), Peter Kogler (A), Julian Opie (GB), Tobias Rehberger (D), Haim Steinbach (USA) und Lawrence Weiner (USA) ein, jeweils ein Auto nach ihren Vorstellungen zu gestalten.

Das Auto selbst ist so gestaltet, dass es aus wenigen vormontierten Komponenten und einer Reihe von Kleinteilen zusammengesetzt werden kann. Die Hauptmodule, die von den "Systempartnern" kommen, sind Karosserie (Magna Chassis), Cockpit (Mannesmann-VDO), Frontmodul (Bosch), Hinterachs-Antriebsmodul (Krupp), Türen (erst Ymos, jetzt Magna Doors). Die Lackiererei wird von der Firma Surtema-Eisenmann betrieben, die äusseren Kunststoffverkleidungen werden von Dynamit Nobel auf dem Gelände produziert. Die Endmontage bei MCC ist dadurch auf 4,5 Stunden pro Auto verkürzt worden. Diese Zahl sagt wenig darüber aus, wieviel Arbeit in einem fertigen Auto steckt. MCC gibt die eigene Fertigungstiefe (also ihren Anteil an der Gesamtproduktion des Autos) mit 8 Prozent an, d.h. 92 Prozent der Arbeit erfolgt bei anderen Firmen. Und auch davon wird nur ein kleiner Teil in der SMART-Fabrik geleistet. Wichtige Komponenten und Teile werden von ausserhalb angeliefert (z.B. der Motor von Mercedes in Berlin, die Hinterachse von Mercedes in Bremen, die Sitze vom französischen Sitzehersteller Edgar Faure).

In der Welt der Wirtschaft wie auch in der Kunstwelt ist das Aufspüren neuer Strömungen und aktueller Tendenzen und das Vorantreiben dieser Impulse ein gemeinsamer Nenner. Im Zuge der verschiedenen Entwicklungsstadien des Automobils überraschten die Hersteller die Gesellschaft immer wieder mit technischen und ästhetischen Neuerungen und führten uns in immer wechselnden Entwürfen die Schönheit des Nützlichen vor Augen.

Die Fertigungstiefe der gesamten Fabrik in Hambach beträgt etwa 20 Prozent - also 8 Prozent bei MCC und 12 Prozent bei den "Systempartnern", was in etwa der Zahl der Beschäftigten in den beiden Bereichen entspricht: 700 bei MCC und 1.100 bei den "Systempartnern". Das würde bedeuten, dass für die Gesamtproduktion der Autos, also 100 Prozent Fertigungstiefe, etwa 9.000 ArbeiterInnen benötigt werden, d.h. weitere 7.200 zu den in Hambach arbeitenden. Es handelt sich also bei dem modularen Produktionskonzept nicht um die Wiedergeburt der klassischen grossen Autofabrik - nur diesmal in unabhängige Firmen aufgespalten. Deren Fertigungstiefe lag bei 50 Prozent und mehr. Die neuen Fabriken sind nur noch der Endpunkt einer langen, oft im Dunkeln bleibenden Kette von Zulieferfabriken und Klitschen, die durch den immer wichtiger werdenden Transport mit LKWs verbunden sind.

Die "Systempartnern" von MCC haben auf eigene Kosten in Hambach Produktionsstätten aufgebaut und einen grossen Teil der Entwicklungskosten für die Module übernommen. Für Daimler-Chrysler sind die Investitionen damit deutlich geringer geworden - ganz abgesehen von den reichlichen Subventionen des französischen Staates. Auch finanziell ist die SMART-Fabrik damit ein Experiment. Beim Scheitern des Proiekts aufgrund von Problemen beim Verkauf oder in der Produktion könnte es Daimler-Chrysler - bei einem Jahresumsatz von etwa 300 Milliarden Mark - locker verkraften, das Ganze wieder einzustampfen. In Hambach investierte MCC 445 Mio. Mark und die Zulieferer 385 Mio. Mark - die Gesamtinvestitionen inklusive Entwicklungskosten und Händlernetz sollen etwa 2,4 Mrd. DM betragen haben.

Die Artware AG, ein Partnerunternehmen der Portfolio Kunst AG, griff diese wegweisende Innovation der Automobilwirtschaft auf, um ihre klare und attraktive Formensprache um die Dimension zeitgenössischer, bildender Kunst zu erweitern. Ergebnis dieses Konzepts ist eine limitierte Auflage von 10 artwaresmarts, die von internationalen Künstlern gestaltet wurde.

Besonders stolz sind die Planer auf die ausgefallene Form der Fabrik, die optimal zu der modularen Produktionsweise passe. Im Mittelpunkt der Fabrik steht eine kreuzförmige Halle, in der MCC die Endmontage durchführen Iässt (siehe Abbildung). Das Band Iäuft in vier U-Formen durch diese Halle. Im Vergleich zu einer linearen Anordnung oder einem einzelnen U wird dadurch Platz gespart, die Entfernungen zwischen den einzelnen Montagestationen sind geringer, und die Module können trotzdem von aussen direkt an die jeweiligen Montagestationen geliefert werden. Dabei wurde auf die Erweiterungsmöglichkeit geachtet.

Das alles beherrschende Prinzip der Produktion ist das Fliessband und die enge Verkettung zwischen den Produktionsschritten. Die Zeiten, in denen die Ideologie der Gruppenarbeit mit einer "Abkehr vom Fliessband" verbunden wurde, sind längst vorbei. Das zentrale Argument für den Standort Lothringen in Frankreich war von Anfang an das niedrige Lohnniveau. In "Smartville" wird vor allem mit Druck gearbeitet: mit dem ständigen Hinweis auf die hohe Arbeitslosigkeit und der immer wiederkehrenden Androhung, die Fabrik wieder zu schliessen.

Zudem sind die Produktionshallen der anderen Firmen so angeordnet, dass sie von dem Montagekreuz getrennt sind (durch Strassen mit so schönen Namen wie "Rue de la Qualité", "Rue de la Flexibilité" oder "Rue de la Creativité"), aber bei einer Veränderung der Montage jeweils an der erforderlichen Stelle ans Band liefern können. Nach aussen hin haben sie Platz für Erweiterungen. Diese Erweiterungsmöglichkeit könnte nicht nur für die Erhöhung der Produktion genutzt werden, sondern auch für eine Erhöhung der Fertigungstiefe durch die Ansiedlung weiterer Zulieferer.

Seit über 100 Jahren hat sich die Menschheit den grossen Traum von individueller Beweglichkeit, Leichtigkeit und Geschwindigkeit in Form des "Selbstbeweglichen", des Automobils, erfüllt und je schneller sich die Entwicklung zur motorisierten Gesellschaft ausdehnte, desto intensiver wurde das Auto Thema und Objekt der Kunst in kritischer und aufmerksamer Auseinandersetzung. Experimente wie John Chamberlainís Blechskulpturen aus Autoschrott oder auch die unterschiedlichsten Werke der Pop Art, die Autos, Verkehrssituationen oder Teile von Autos in ihre Bildsprache integrierten sind nur einige Beispiele dieses Begegnungsfeldes von Kunst und Technik, das in den 70ern mit den mobilen Kunstwerken von Frank Stella, Roy Lichtenstein und Andy Warhol einen Höhepunkt erreichte.

Wer baut den SMART?

Nach dem Krisenjahr 1992/93 wollte Mercedes mit der neuen SMART-Produktion ein politisches Signal an die ArbeiterInnen in Deutschland geben: Autos müssen auch in Westeuropa zu deutlich niedrigeren Löhnen gebaut werden können. Nach einer langen öffentlichen Diskussion über den Standort der SMART-Fabrik entschied sich Mercedes gegen die Proteste der Betriebsräte und Gewerkschaften für Lothringen, eine seit Jahren von Zechenstillegungen betroffene Region mit hoher Arbeitslosigkeit.

Die Entscheidung wurde ausdrücklich mit den niedrigeren Löhnen und der grösseren Arbeitszeitflexibilität begründet. Der Anwerbe- und Einstellungsprozess verlief von Anfang an mit Unterstützung des örtlichen Arbeitsamts, das MCC einen grossen Teil des Selektionsprozesses mit einem 1996 eigens dafür eingerichteten "Centre de Recrutement" abnahm. Die Ämter hatten errechnet, dass im Umkreis von 50 Kilometern 30.000 Schulabgänger und Arbeitslose für einen Job in der SMART-Produktion in Frage kommen würden. Am Anfang bewarben sich einige Tausende um die Stellen und wurden dann einem tagelangen Ausleseprozess unterzogen. 60 Prozent der Eingestellten sollen zuvor arbeitslos gewesen sein. Geboten wurde ein Lohn um die zwei- bis dreitausend Mark brutto, was 30 Prozent unter dem Lohnniveau des angrenzenden Saarlands liegt, das seinerseits deutlich niedriger als an den Mercedes-Standorten in Deutschland ist. Auch in Frankreich sind dies Löhne knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn und niedriger als in Autofabriken von Renault oder Peugeot - jedenfalls für die Festangestellten (der Einsatz von Leiharbeitern ist in den französischen Autofabriken sehr viel stärker verbreitet als in Deutschland).

Die ersten zehn Prototypen des artwaresmarts, für die jeweils eine limitierte Auflage von 10 Stück geplant ist, werden in der Ausstellungshalle der Portfolio Kunst AG gezeigt..Um die Mobilität des artwaresmarts zu nützen, wird nach Ablauf der Ausstellungsdauer eine durch Europa rollende Ausstellung organisiert, die den artwaresmart als Träger zeitgenössischer, bildender Kunst in einen Grossteil der europäischen Staaten bringt. Die erste Station ist am 22. und 23. Juni 2000 in Basel anlässlich der Kunstmesse.

Die neue Methode, mit Billiglöhnen Autos zu produzieren, ist eng mit der besonderen Zusammensetzung der ArbeiterInnen in der SMART-Fabrik verknüpft. Eine besondere Rolle spielen dabei das Alter der ArbeiterInnen (1), die verschiedenen Beschäftigungsverhältnisse (2) und die Region.

(1) Die meisten ArbeiterInnen sind sehr jung und es arbeiten relativ viele Frauen dort. Ein Arbeiter von Magna Doors sagt, das Durchschnittsalter bei ihnen sei 26 Jahre. Bei Magna Chassis soll es nur 23 Jahre betragen und nach Angaben von MCC beträgt das Durchschnittsalter in der gesamten Fabrik - also inklusive Vorgesetzte und Angestellte - nur 29,5 Jahre. Ein anderer von Chassis schätzt, dass noch die Hälfte von ihnen zu Hause wohnt. Aber sie alle stehen vor dem Problem, dass sie aufgrund des geringen Lohns kaum eine eigene Wohnung finanzieren können. Aber diese Situation macht sie auch beweglich auf dem Arbeitsmarkt und bindet sie kaum an das Unternehmen. Ob sie diese mies entlohnten Jobs dann selber kündigen oder der Unternehmer dicht macht, kann ihnen tatsächlich egal sein.

Einer der grössten Automobilkonzerne der Welt griff zum ausgehenden Jahrtausend das gesellschaftliche Bedürfnis nach individueller, urbaner Mobilität auf und entwickelte eines der innovativsten Automobilkonzepte des vergangenen Jahrzehnts. Der Sehnsucht des Menschen nach mehr Raum, Beweglichkeit und Freiheit in der Stadt wurde eine revolutionäre Lösung vor Augen geführt.


(2) Die Arbeitsverhältnisse in der SMART-Fabrik sind von einer doppelten Spaltung geprägt, zwischen den einzelnen Betrieben und noch mal innerhalb von ihnen. Gerade bei den Zulieferfirmen sind die verschiedensten Arbeitsverhältnisse anzutreffen: Festeinstellung, befristete Einstellung, Leiharbeit, und mehr oder weniger vom Arbeitsamt gezwungen. Auch innerhalb der einzelnen Betriebe bekommen alle unterschiedliche Löhne, es gibt keine klaren Tarife. Die Regelungen über Urlaub und Prämien sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld (das es für die meisten nicht gibt) sind überall anders. Die Ausbildung der ArbeiterInnen ist sehr unterschiedlich. Manche haben Fachabitur und darüber, was sich aber nicht auf den Lohn für Produktionsarbeit auswirkt. Die Leiharbeiter können nicht streiken, sie würden dann sofort entlassen werden. Ein Arbeiter von Magna Doors schätzt, dass von den 135 ArbeiterInnen bei ihnen nur 50 festeingestellt sind.

Hambach ist ein kleines verschlafenes Nest, in dem es keine andere Industrie gibt. Als sich Daimler 1994 - damals noch zusammen mit dem SMART-Erfinder Hajek von der Uhrenfirma Swatch - für diesen Standort entschied, jubelte die Lokalregierung über die Ansiedlung und der französische Staat subventionierte grosszügig den Bau der Fabrik. Den ArbeiterInnen werden ständig die Wirtschaftsprobleme der Region, z.B. der weitere Abbau von 6.000 bis 7.000 Arbeitsplätzen im Bergbau in den nächsten Jahren, vor Augen gehalten, um ihnen die Hinnahme der Arbeitsbedingungen bei SMART abzupressen.
Auch dieser regionale Standortvorteil hat seine Kehrseite. Trotz des ländlichen Charakters existiert in Lothringen ein Milieu der Arbeiterbewegung, auch wenn die Bergarbeiter ihre letzten Schlachten schon vor über zehn Jahren verloren haben. Es gibt noch Kampf-erfahrungen, die sich in den Familien erhalten. Viele der jungen ArbeiterInnen bei SMART sind Kinder von Bergarbeitern.
Obwohl sie alle auf einem Gelände arbeiten, haben sie durch die Arbeit wenig Kontakt miteinander. Selbst in der gemeinsamen Kantinen treffen sich die ArbeiterInnen der unterschiedlichen Betriebe nicht, da sie versetzte Pausenzeiten haben.

Seitdem sich herumgesprochen hat, zu welchen Bedingungen bei SMART gearbeitet wird, scheint das Interesse an diesen Arbeitsplätzen deutlich nachgelassen zu haben.
   
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