|
01/01
Antonio Negri lesen
Lydia Lunch erzählt Geschichten
Jutta Koether zur grünen Schenke
Josephine Pryde zeigt Fotografien
Ricarda Denzer "tuer 14"
Schuldbewusstsein
Demokratie als Unvollendeter Prozess
Frauen und Männer in der RAF
Was ist neu an der "neuen Fabrik"?
Der Steinigungsminister präsentiert
Reisebericht: Warszawa
Wie auch immer man zur Haltung
Editorial
Home
|
|
Kampf um Bilder: Frauen und Männer in der RAF
Im Rahmen der Kampagne "Das Weite suchen. Die letzten sechs Gefangenen
der RAF müssen raus. Bedingungslos. Basta!" fand im Sommer 2000
im B72 in Wien eine Veranstaltung mit Irmgard Möller statt. Die Kampagne
fordert die Freilassung der politischen Gefangenen der RAF, die durch
mehrfache lebenslängliche Verurteilungen sehr hohe Haftstrafen erleiden.
Irmgard Möller war Mitglied der Roten Armee Fraktion und wurde 19XXX
nach XXX Jahren aus der Haft entlassen.
Auf den folgenden Seiten geben wir die Diskussion, die an diesem Abend
stattfand, auszugsweise wieder, da wir die Foderungen der Kampagne unterstützen
wollen.
Irmgard Möller: Gleich am Anfang haben Staat und Medien überlegt,
wie können sie uns am Besten bekämpfen, mit welchen Mustern;
sie haben angefangen - und dafür ist Stefan Aust ein Beispiel - mit
der Personalisierung von einzelnen, die mehr oder weniger bekannt waren,
Figuren zu erschaffen, die es in Wirklichkeit nie gegeben hat und bestimmte
Muster aufzubauen, die den ganzen Befreiungskampf ad absurdum führen,
weil eine Gruppe mit so einem Kerl, wie Andreas Baader dargestellt wurde,
die ist übermorgen tot, das geht so nicht. Also, zur Bekämpfung
von uns gehörte, dass es so einen Kerl wie Andreas gibt, dass es
irgendwelche Frauen gibt, die ihm hörig sind, die sich untereinander
umbringen während sie um seine Gunst zu streiten, und ... Also völlig
aus der Luft gegriffene Projektionen. Das ist ein sehr beliebtes Bild,
was sich bis heute irgendwie hält und mancher denkt, na irgendwas
wird ja schon dran sein. Nee, das ist nicht so.
Das ist eine unheimliche Perfidie. Das war damals auch, in den ersten
Jahren ging es dauernd darum, ihn zu denunzieren, das war alles wirklich
ausgedacht. Wir haben da gesessen und gelacht, aber eigentlich ist es
nicht witzig, weil es sehr prägend wirkte. Also mit der Befreiung
kanns ja nicht so weit her sein, wenn da solche Strukturen sind und sich
da einer so aufführen kann, damit will ich nichts zu tun haben...
Und gleichzeitig, was wirft das für ein Licht auf uns? Wenn man nur
ein bisschen nachdenkt, muss man auch wissen, das kann überhaupt
nicht funktionieren, sonst wäre die Gruppe ganz schnell kaputt gewesen.
Über sich Bescheid wissen: Rollenteilung
Frage: Wie habt ihr eure Rollen besetzt und strukturiert,
es geht von der Frage "Frauen -Männer" aus, habt ihr eure
Rollen immer neu verhandelt, wie habt ihr das gemacht?
Irmgard Möller: Wir haben uns am Anfang sehr bemüht, die Rollen
abzuschaffen, keiner sollte in eine eingezwängt sein. Um eine Rolle
einzunehmen, braucht es immer 2 Seiten - den, der sie einnimmt und den,
der sie ihm gibt. Ursprünglich ausgehend von der Abschaffung der
Rollen : wenn jemand etwas weiß, wird er es den anderen vermitteln,
die Position von einem, der alles weiß, kann es nicht geben. Wir
wollten eine Struktur, in der jeder lernt und vermittelt und sich befähigt,
Entscheidungen zu treffen... - und nicht etwa Wissenfür sich behält
und als Herrschaftswissen ansammelt und einsetzt. (ganz krass hat es sowas
gegeben, als einige Leute, die Kontakt zu den Illegalen hatten oder zu
uns Gefangenen, damit operiert haben, um andere zu beherrschen,das hat
zu großen Verletzungen geführt, war verheerend, weiß
ich heute) Drinnen waren wir nicht zu allen Zeiten wachsam genug und sind
unserem eigenen Anspruch und Wissen nicht gerecht geworden, dauernd alles
infrage zu stellen - dadurch sind etliche Fehler passiert.
Vertrauen umd Verantwortung: Organisation, Struktur, Aufgabenteilung
Irmgard Möller: Grundsätzlich waren wir eine politisch-militärische
Organisation und wenn man eine Aktion macht, muss man vorher entscheiden,
wer und in welchem Moment einen Befehl geben kann, das ist eine vorübergehende
Sache, die sich hinterher erübrigt, überflüssig geworden
ist...
Bei so etwas wie einem kollektiven Hungerstreik muß man auch gucken,
wer verhandelt jetzt, wer tritt der Regierung gegenüber, wer darf
schnell mal was entscheiden, an wen können wir das in dieser Aktion
delegieren, da gibt es Vorentscheidungen, gibt es Einschätzungen,
die den anderen dann vermittelt werden und Vertrauen auf die oder den,
der dann bestimmt worden ist. Nachher ist diese Funktion dann nicht mehr
notwendig, hat sich nivelliert oder sollte sich, ist nicht immer worden,
hat sich auch verselbstständigt, aus Erschöpfung oder aus Faulheit
z.B., das ist auch ziemlich verbreitet, kenne ich auch von mir selber,
dass, wenn´s mir mal nicht so gut geht, bin ich froh , entscheidet
mal ein anderer, das reisst dann schnell ein, weil alle sind immer, jederzeit
gefordert, nicht nur der, der mal ne Funktion ausführt ist der Finsterling,
sondern die, die ihn ausführen lassen, sind genauso verantwortlich.
Immer alles gleichzeitig zu mobilisieren ist ein Ziel, das nicht jederzeit
erfüllt worden ist.
Lernprozesse
IM: Ich denke eher, dass wir sehr viel versäumt oder uns auch überschätzt
haben, also dass der Druck von außen, der Druck durch die alltägliche
Erfahrungsweise, dass der sehr viel grösser ist, als wir uns vorgestellt
hatten. Also wir haben gedacht, was wir mal wissen, was wir uns erobert
haben, das nimmt uns keiner. Das ist nicht wahr. Sondern in dem Moment
wo man es los lässt oder nicht mehr beachtet, setzt sich sofort das
Alte wieder durch, und das ist ne Erfahrung, die wir damals noch nicht
hatten, sondern erst im Lauf der Zeit gemacht haben.
Solidarität und Strategien zur Herstellung von Öffentlichkeit
Irmgard Möller: Von der Realität ausgehend sind unsere Strategien
sehr bescheiden und ich habe gedacht es wird alles eine Weile dauern.
Dadurch dass wir Leute interessieren, die sich dann wieder selber Gedanken
machen und wie MultiplikatorInnen in ihre Gruppen zurück gehen und
das wieder zum Thema machen, wird das auch eine Weile dauern.
So wie das jetzt in der Bundesrepublik ist, sind die Gefangenen wirklich
weitgehend vergessen. Es ist überhaupt nicht mehr selbstverständlich,
darüber nachzudenken. Das wollen wir durch die Initiative erst anstossen.
Das ist der Widerspruch: eigentlich ist es unerträglich, sich vorzustellen:
noch ein Jahr und noch ein Jahr... und doch zu wissen, nur so ist es realistisch
und wir können nicht sagen: bis dann und dann müssen wir es
geschafft haben. Das ist unsinnig nach allen Erfahrungen. Also freiwillige
Aktivierung ist uns wichtig, dass sich niemand unter Druck gesetzt fühlt
auch nicht unter moralischen Druck. Als ich rauskam hab ich gehört,
wie es anderen Leuten ergangen ist, wenn mit moralischem Druck gearbeitet
wurde über Jahre, welche Gräben das aufgerissen hat, weil Leute
sich dauernd gezwungen fühlten, sich zu verhalten und gar keinen
Raum hatten, sich selber was zu überlegen, z. B. wenn wir Gefangenen
im Hungerstreik waren oder auch sonst, also dass kaum jemand der Raum
gelassen wurde, sich Gedanken zu machen, was will er, warum ist er solidarisch
... ?
Was überhaupt mal die Grundlage von Solidarität ist, ist ja,
dass man selber mit dem System nicht einverstanden ist, dass man sich
im Widerstand wiedererkennt, auch wenn die Kampfform nicht die eigene
ist, also dass man weiss, warum will ich denn, dass diese Gefangenen rauskommen.
Also dass das eine klare bewusste Sache ist, eben der Boden für eine
solidarische Beziehung überhaupt. Und wir von der Initiative haben
das so definiert, dass wir erstmal den Boden schaffen, auf dem wir dann
wirklich fordern können, die Gefangenen freizulassen. Das dauert.
Was jetzt in den letzten Jahren um sich gegriffen hat aus einer bestimmten
Schwäche heraus, dass sich Leute überlegen, man müsse an
die Türen der Justizminister klopfen, man müsse hier einen Bischof
ansprechen, dort ein gutes Wort einzulegen... Und es ist sehr verbreitet,
gar nicht mehr die Hoffnung zu haben oder die Möglichkeit zu sehen,
dass solidarische Menschen sich zusammentun, sondern die Hoffnung auf
den Apparat zu richten und davon auszugehen, dass es nie mehr eine Bewegung
geben wird. Und das denke ich nicht, das denkt niemand von der ganzen
Initiative. Uns verbindet nicht die Repression, das ist viel zu kurz gegriffen.Bedingungslos.
Basta!
Irmgard Möller: Wenn es um die Freilassung von zu ein- oder mehrmals
lebenslänglich verurteilten Gefangenen geht, verlangt der Staat erstmal
Reue, Reue und nochmals Reue. Davon geht er erst ab, wenn die Aufmerksamkeit
wächst und ihm die Forderung nach Freilassung zu laut wird.
Ausserdem wurde in den letzten Jahren etwas eingeführt, was "Schwere
der Schuld" heisst und nach Gefängnisjahren gemessen wird, also
die und die Aktion "gebietet" soundsoviel Jahre Knast mindestens
oder der gefangene ist während der Haft so krank geworden, dass er
haftunfähig geworden ist und rausgelassen werden muss, z. B. um operiert
zu werden. Das hat es in den letzten Jahren mehrmals gegeben. Darauf wollen
wir nicht warten, das ist absolut inakzeptabel.
Das Verhältnis zwischen Kunst und Politik
Frage: In dem Video, das am Anfang lief kommt auch
ein Zitat von der SI aus der ersten Nummer ihrer Zeitschrift 1958 als
Referenz oder Bezugspunkt. War das präsent zu Beginn der RAF ?
Irmgard Möller: Das war schon präsent, bei einigen, nicht bei
allen Gerade in den 60ern, Anfang der 60er, hat das in Paris und später
auch in München eine große Rolle gespielt, eine Art zu denken,
eine Art subversiv zu denken, bevor es überhaupt militant Aktionen
gab, d. h. andere Ausdrucksformen zu finden, phantasievoll zu sein, Dinge
infrage zu stellen, auf den Kopf zu stellen, bestimmte Haltungen zu haben,
das gehört auch zu den Wurzeln.
Frage: Mir ist es immer schwer gefallen, das aus einer historischen Distanz
abzuschätzen, inwiefern, auf welcher Ebene das ernstgenommen wurde
als Widerstandsformen, weil es immer wieder in der Geschichtsschreibung
Tendenzen gab, das sehr in ein Kunstfeld ...
Irmgard Möller: In dem war es damals nicht drin, diese Spaltung in
Kunst und Politik diese gegenseitige Missachtung von der Kunst auf die
Politik und umgekehrt, das war sich gegenseitig noch näher, das war
zu dem Zeitpunkt noch nicht, das gehörte noch zusammen, tendenziell,
nicht perfekt und vollkommen, aber tendenziell.
|
|
|