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03/02
Interview mit Michael Hardt
Interview with Michael Hardt
Carola Dertnigs Zeichnungen
Editorial

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Eines Tages war dieses Buch und die darin enthaltenen Beschreibung einer Welt da, die dem globalen Kapital keine äußere Grenze mehr bieten kann. "Empire" ist nicht der Titel eines Science Fiction Romans, sondern ein Begriff, der in Anlehnung an das römische Imperium eine Konzeption der jetzigen Weltordnung beschreibt, in der ein Abseits (vom Kapitalismus) nur mehr als eine Form von Barbarei, eine Gesellschaft ohne Kultur, quasi als eine Wüste erscheint. Vielleicht hat die Angst, wie einst Ovid aus dem Imperium verbannt zu werden, einen Grossteil der Mächtigen dieser Welt erfasst, wenn sie alle, egal ob in Moskau oder Peking, Teil des Empire sein wollen.
Das Buch räumt zugleich mit der mittlerweile ziemlich undenkbaren und politisch unpraktikablen Vorstellung auf, dass es möglich wäre, sich als Individuum oder Gruppe ausserhalb der Gesellschaft zu positionieren und von diesem imaginären Ort aus zu operieren.
Dennoch sind die Autoren Michael Hardt und Antonio Negri ziemlich optimitisch, was die Fähigkeiten der Weltbevölkerung betrifft, dieses Empire von innen heraus zu zerbrechen. Vielleicht ist dieser Optimismus die einzige Schwäche des Buches, da es dadurch gefährlich nahe an ein Werk mit einem Auftrag rückt. Im Übrigen eignet es sich auch zurm Querlesen, d.h. zu einer kapitelweisen Herangehensweise und ist auch mit zahlreichen Exkursen zu philosophischen und historischen Denkansätzen sehr spannend und klar zu lesen.
Das Gespräch mit Michael Hardt haben wir im April 2001 in Wien geführt.
die weisse blatt: Inwiefern sehen Sie in der Veränderung der herrschenden Moral eine Befreiung?
Michael Hardt: Ich sehe das nicht als reine Befreiung, sondern als Potenzial für Befreiung. Ich wünschte, ich könnte positiv beginnen, aber lassen Sie mich negativ anfangen. Ich denke, dass die Aufteilung unseres Lebens und unseres Selbst in Öffentliches und Privates irgendwie unsere Kräfte auslaugt. Es begrenzt das, was wir für politisch halten und deshalb in unserem Leben kollektiv ändern können. Nach meinem Verständnis – ich beziehe mich hier auf den amerikanischen Feminismus der 70er Jahre – muss das Private als politisch betrachtet werden, weil es dann sozial und offen für kollektive Umformungen ist. Wenn etwas als privat betrachtet wird, bedeutet das, kollektiven politischen Einfluss zu begrenzen. Befreiung heisst Öffnung für politische Aktionen; etwas eröffnet sich als politisches Thema und folglich als Gegenstand unseres politischen Handelns. So engen wir den Spielraum unserer Politik nicht ein. Mit anderen Worten, sexuelle Beziehungen, intime Beziehungen – Beziehungen zwischen Männern und Frauen, zwischen Männern und Männern, zwischen Frauen und Frauen – sind alles politische und soziale Beziehungen.
Irgendwie argumentiere ich damit gegen die Idee der Toleranz, weil Toleranz immer zu sagen scheint: Das sind Beziehungen, Ansichten, Verhaltensweisen, die außerhalb der allgemeinen sozialen Sphäre stehen. Toleranz gegenüber Homosexualität zum Beispiel kann leicht einher gehen mit: „Ich hasse Homosexuelle. Ich glaube, sie haben unrecht, ich denke, sie sind abstoßend – aber lasst sie machen was sie wollen.“ Das scheint eine tolerante Haltung tatsächlich oft zu bedeuten, während ich glaube, dass es ein größeres soziales und politisches Engagement braucht. Toleranz erscheint mir als Ablehnungspolitik, Tolerierte werden als Untergeordnete akzeptiert.
Eine der vergnüglichsten politischen Aktionen der 90er ereignete sich, als die Gruppe „Queer Nation“ sogenannnte „Kiss-ins“ ins bei der Norman Convention, das ist der Parteitag der Republikaner, abhielt. Männer und Frauen gingen umher und küssten einander. Das hieß: „Ihr müsst mich nehmen, wie ich bin!“ Sich privat zu küssen, würde die Hinnahme von Toleranz bedeuten.
dwb: Eine Ihrer Thesen ist, dass Arbeit und Produktion nicht mehr auf die Fabrikswelt beschränkt sind, da die ganze Gesellschaft nun zur Arbeit angehalten ist und alle Aspekte des Lebens in die Produktion integriert sind. Das impliziert, dass Widerstand nun überall beginnen kann, während im Fordismus Streiks und Sabotage durch Fabriksarbeiter die zentralen Konfliktstrategien waren. Können Sie ein paar Beispiele für Widerstand im Alltag nennen? Was denken Sie über Widerstand in der sozialen Fabrik?

MH: Zunächst sind wir ja nicht besonders originell mit der These, dass das dominierende Paradigma der Arbeit in den entwickelten Ländern nicht länger die Fabrik ist. Das ist eine Tatsache, die mehr oder weniger für alle offensichtlich ist. Es bedeutet aber natürlich nicht, dass Fabriksproduktion nicht mehr exisitiert – sie existiert in den entwickelten Ländern, und sie exisitert in abhängigen Ländern. Was es allerdings bedeutet ist, dass wir die Bedeutung von Produktion und Formen von Arbeit neu überdenken müssen. Eines unserer Anliegen war es, neu zu fassen, was Arbeit bedeutet und das Konzept zu erweitern. Es gibt dafür zwei Quellen von Inspiration oder Wissen: Die eine ist feministische Theorie der 70er Jahre, speziell die US-amerikanische feministische Theorie, die versucht Fragen der Reproduktion neu zu denken, und ausgehend von der Hausarbeit die Frage nach Arbeitsformen stellt, die nicht in das Lohnsystem integriert sind. Einer der positiven Aspekte davon war, das Verständnis von Arbeit oder Produktion auszuweiten. Die andere Quelle sind Deleuze/Guaratti und verschiedene TheoretikerInnen in ihrem Umfeld mit dem Versuch, das Konzept der Produktion zu klären, zum Beispiel in ihrer Diskussion um Produktion von Begehren. Das führt zurück zu der Frage von öffentlich und privat: ein anderes spannendes und dringliches Problem ist, dass wir die Unterscheidung – wenn nicht sogar das Ende der Unterscheidung von Produktion und Reproduktion – progressiv neu denken müssen. Es war zwar nicht so geplant, aber zumindest für mich wurde diese Frage durch feministische Theorie aufgebracht, weil genau diese Unterscheidung zwischen Produktion und Reproduktion als politische Waffe gegen Arten der Arbeit, die als reproduktiv galten, verwendet wurde. Jedenfalls erlauben uns die Veränderungen der dominierenden Produktionsformen heute zu erkennen, dass diese Trennung vielleicht nie haltbar war. Auf diese Art versuchen wir, das jetzt zu denken. In gewisser Weise ist das auch der Inhalt unseres Begriffs von biopolitischer Produktion. Es ist nicht die Produktion von Waren, oder etwa Waren und Dienstleistungen, es ist in letzter Instanz die Produktion von Gesellschaft an sich. Die Produktion von Subjektivität ist auch etwas Fundamentales, um das es geht.
Das verlangt jetzt nach einer Erklärung dessen, was wir unter immaterieller Arbeit verstehen. In unserer Sichtweise der Verschiebung in der globalen kapitalistischen Ökonomie, gibt es etwa ab Beginn der 1970er – es ist immer schwierig, diese Dinge zu datieren – eine Hegemonie dessen, was wir immaterielle Arbeit nennen. Das bedeutet nun weder, dass alle Arbeit immateriell geworden ist, noch dass die Arbeit selbst nicht mehr materiell wäre. Der Begriff soll fassen, dass das Produkt immateriell ist. In Kontrast zu Arbeit, die eine Ware wie ein Auto oder einen Fernseher produziert, stellt diese Arbeit entweder Wissen her oder Gefühle. Und diese Dinge sind immateriell. Affektproduktion ist ein ausgezeichnetes Beispiel, weil Gefühle klarerweise komplett körperlich sind. Wir sprechen nicht einfach über etwas Körperloses – es ist ganz besonders körperlich, aber das Produkt ist etwas Immaterielles. Dass diese Art der Arbeit in der Ökonomie eine hegemoniale Position erreicht hat und die Stelle des höchsten Produktionswertes einnimmt, verdeutlicht die Unmöglichkeit, frühere Unterscheidungen aufrecht zu erhalten. Wie ich vorher schon sagte, geht es vor allem um die Unterscheidung von Produktion und Reproduktion, die aus der Perspektive der immateriellen Arbeit immer weniger Sinn macht, und um die Unterscheidung von Arbeitszeit und Lebenszeit. Ich meine, man arbeitet nie nicht, wenn man Produktion an sich als die Produktion von Subjektivitäten begreift.
dwb: Marx sagte, dass wir alle Leben produzieren, so dass der Mensch entsteht, indem er sein Sein als Arbeit erkennt. In anderen Worten, die Arbeit erschafft den Menschen, sie stellt den Übergang vom Nicht-Mensch-Sein zum Mensch-Sein dar. Stimmen Sie zu, dass die Produktion von Subjektivität und von Gefühlen eigentlich ein metaphysischer Akt ist? Sich selbst in Bezug zur Welt zu erschaffen scheint mir ein ziemlich theologisches Thema zu sein.
MH: Ich bin nicht sicher, ob ich Metaphysik hier verstehe. Lassen Sie mich bei einigen Dingen beginnen, die vielleicht banal erscheinen, aber wir können von da zu Ihrer Frage kommen. Betrachten wir beispielsweise die Vielzahl der Arten bezahlter Arbeit, die affektive Arbeit einschließen – man denke etwa an Pflegepersonal in verschiedenen Bereichen. Natürlich verrichten ArbeiterInnen in der Krankenpflege materielle Arbeit, aber eben auch affektive Arbeit. Ein anderes Beispiel sind Stewards und Stewardessen, die auch eine Art materieller Arbeit tun, obwohl ein großer Teil ihrer Arbeit in der Produktion von Gefühlen besteht. Wenn wir beginnen, über Affektproduktion nachzudenken, scheint es mir einfach, zur Produktion von Subjektivität überzugehen. Was dabei auch wichtig ist, ist dass wir die Produktion von Subjektivität eben nicht als metaphysische Instanz betrachten, im Sinne von etwas, das vor oder außerhalb von uns getan wird. Wenn wir unsere aktive Beteiligung an der Produktion unserer kollektiven Subjektivitäten erst einmal erkannt haben, können wir damit arbeiten und die Veränderung in Angriff nehmen. Mir scheint, dass die Produktion von Subjektivität in diesem Sinne ein sehr alltäglicher Akt ist. Geht das auf Ihre Frage nach Metaphysik ein?
dwb: Ja, das tut es. Krankenpflege, zum Beispiel, war ursprünglich mit der Arbeit von Schamanen verbunden, während FlugbegleiterInnen mich an das Konzept von Engeln erinnern ...
MH: Sie versuchen hier das, was früher als metaphysisch gedacht wurde, auf die Erde zu holen. Das ist ein nettes Projekt. Ich mag Engel. Aber ich habe Ihre Frage nach dem Widerstand im Alltag noch nicht beantwortet.
Ich glaube, es gibt traditionelle Formen des Widerstands und es ist ziemlich offensichtlich, dass diese weiter bestehen. Es gibt eine Menge Sabotage am Arbeitsplatz, die immer exisitiert hat und immer exisitieren wird, so wie auch ArbeiterInnen, die den Bossen die Disziplin verweigern, unvermeidbar sind und eine wunderbare Sache. Das geschieht an Computern genauso wie am Fließband. Viele von uns verweigern Formen der Disziplinarkontrolle auf Wegen, die vielleicht individuell oder sogar persönlich scheinen, aber tatsächlich kollektiv und sozial sind. Zum Beispiel die Verweigerung von Familie, von Ehe ist etwas, das als individueller und persönlicher Akt erscheint und sicherlich auch so erlebt wird, aber ich denke, es sollte auch als politischer Akt gelesen werden. Was mich als nächstes interessiert – und das ist eine Sache, über die wir jetzt gerade nachdenken – ist, dass Widerstand, der als isoliert und idiosynkratisch gedacht wird, niemals Machtstrukturen angreifen kann. Widerstand muss auf eine bestimmte Art definiert werden, damit das geschieht. Deshalb versuchen wir nun die Verbindung zu denken, durch die Widerstand auf eine notwendige und interne Weise mit Akten des Aufstands verbunden werden kann, womit wir kollektive Revolte meinen; eine andere Möglichkeit, wie wir Widerstand auf kollektive und soziale Weise denken können – Widerstand jedoch eher als Revolte gegen Machtstrukturen, denn als passive Verweigerung. Passives Verweigern mündet oft in die eigene Entmächtigung. Es mag hier nicht das beste Beispiel sein, aber mir fällt dazu die Geschichte von Bartleby ein: Er ist ein Kopist, der sich weigert zu schreiben. Er sagt immer: „I would rather prefer not to.“ (Ich möchte lieber nicht), eine sehr klare Art der Verweigerung. Aber am Ende begeht er Selbstmord. Er hat so eine klare und individuelle Verweigerungshaltung. Ich meine damit, es ist für die Leser offensichtlich, dass er die langweilige und repetitive Natur von Büroarbeit – den Mangel an Leben in solchen Beschäftigungen – ganz deutlich bloß stellt, aber er macht es auf eine Art, dass sein passiver Widerstand nur ihn selbst treffen kann. Jemand anderer könnte diese Geschichte vielleicht besser interpretieren, aber wenn ich sage, dass Negri und ich fürchten, dass Widerstand so enden kann, dann würden wir wollen, dass Widerstand auch etwas Soziales und Kollektives sein kann, das Machtformen effektiv herausfordert und aus dem Gleichgewicht bringt. In diesem Sinne ist der Alltag ein ausgezeichneter Anfang, aber kein ausreichendes Ende.
dwb: Der Alltag ist der Ort, an dem sich die gesellschaftliche Ordnung reproduziert ...
MH: Vielleicht ist es einschränkend, wenn ich von einer Erfahrungsebene ausgehe, aber es scheint uns monströs, wenn immer wir unsere Abweichung von Normen oder davon, wie Leute sein sollten, erkennen. Unter den Voraussetzungen einer homophoben Gesellschaft, in der wir leben, fühlen sich jene monströs, die ihre Homosexualität leben. Es kommt sogar häufig vor, dass man/ frau beginnt, das Erkennen seiner/ihrer selbst und seiner/ihrer monströsen Wünsche, zu hassen. Und ich denke, sie erscheinen gerade deshalb ungeheuerlich, da sie die Norm verweigern, zumal sie ja außerhalb derselben stehen. Ich spreche hier über sehr individuelle Begriffe, aber ich nehme an, dass es eine Art Widerstand gegen die Norm darstellt, wenn man/frau es sich selbst erlaubt, ein Monster zu werden und liebend gerne ein Ungeheuer zu sein. Ich sollte versuchen, über andere Beispiele als nur über unsere Sexualität nachzudenken. Andersartig zu leben wirkt beinahe immer ungeheuerlich und tatsächlich scheint „Monster“ die richtige Bezeichnung dafür zu sein.
dwb: Das Problem ist, dass alles Teil von Empire ist. Um beim Beispiel der Homosexualität zu bleiben, die „Monster“ werden als Teil des Empire akzeptiert. Das war eine Art Widerstand innerhalb eines vorhergehenden Regimes, Empire kann das jedoch integrieren.
MH: Da sind wir einer Meinung. Es sieht so aus, als ob die große politische Herausforderung darin besteht, herauszufinden, wie sich Machtformen verändert haben. Frühere Möglichkeiten diese zu bekämpfen sind nicht mehr länger effektiv, sondern stimmen mit der Funktionsweise der Macht überein.
Oft stellt sich der Begriff der Hybridität selbst – namentlich wie er in postkolonialen Diskursen vorkommt – als befreiend dar, wohingegen wir meinen, dass da etwas schon Teil der funktionierenden Macht und als solches in letzter Instanz nicht anfechtbar ist. Das ist eine ambivalente Erkenntnis: Dass Empire durch Hybriditäten funktioniert, bedeutet nicht, dass wir eine „neue Reinheit“ konstruieren müssen. Ich denke, Hybriditäten und Wahlverwandtschaften sind gut, also sollten wir uns eher nach befreienden Zugängen innerhalb dieser umsehen, als zu versuchen, ihnen zu entkommen.
dwb: Ich sehe mit der zunehmenden Bedeutung von Selbstorganisation einen Unterschied zwischen einer disziplinarischen Gesellschaft und einer Kontrollgesellschaft. In früheren Gesellschaften war der Körper das Objekt, das diszipliniert werden musste, wogegen heutzutage Körper und Geist befreit sind, um kreativ zu sein – und somit nützlich für Empire.
MH: Die Verschiebung von einer disziplinarischen Gesellschaft zu einer Kontrollgesellschaft hebt einen relevanten Aspekt hervor. Es ist keine qualitative Unterscheidung, keine andere Sache, es ist eher eine Verstärkung, da Disziplin selbst immer eine Verinnerlichung von Macht einbezieht. Genau durch die Funktionen der Institutionen ist das Subjekt so konstruiert, dass es Folge leistet. Foucault wendet das Beispiel des Panoptikums in dem Sinne an: Der Gefangene wird nicht nur von Gitterstäben und Wächtern bezwungen, sondern dadurch, dass er übereinstimmend handelt und so die Macht verinnerlicht. Ich würde nicht sagen, dass die Passage zur Kontrollgesellschaft ein Ende der Disziplin bedeutet – eher eine Verallgemeinerung der Disziplin außerhalb der Institutionen.
In disziplinarischen Regimen erschien es, als ob die Gesellschaft aus einem Patchwork von Institutionen bestehen würde – auf diese Weise beschreibt es auch Foucault. Ich erinnere mich wie Guattari/Deleuze eine Passage über Disziplin erklären, die lautet: „Du gehst in die Kaserne und du bist nicht mehr in der Familie. Danach gehst du in die Fabrik und dort wird dir gesagt: Nun, jetzt bist du nicht mehr in der Armee.“ Das bedeutet, dass jede Institution ihre eigene Disziplin hat, und dass über die Mauern einer Institution etwas definiert wird. Etwa auch das Kloster, welches für viele Frauen als ein Weg aus der Disziplin der Familie funktioniert hat. Was stattfindet, ist eine Ausbreitung, so dass eine flottierende disziplinäre Logik nicht länger nur im Gefängnis, sondern im gesamten ganze sozialen Feld erscheint. Die patriarchale Logik der Familie existiert ebenfalls nicht nur in einem begrenztem familiären Raum, sondern dehnt sich überallhin aus. Auch die Logik der Fabrik ist nicht durch die Mauern der Fabrik begrenzt, sondern dehnt sich aus. Also ist die Kontrollgesellschaft in diesem Sinne eher eine Verallgemeinerung der Disziplin als ein Ende der Disziplin. Eine etwas beängstigende Vorstellung ...
dwb: Sie behaupten, dass das Empire der freien Bewegungsmöglichkeit der Menschen Widerstand bietet. Warum tut es das? Man/frau könnte doch annehmen, dass der freie Fluss an ArbeiterInnen der Welt im Interesse des Kapitals ist.
MH: Das ist nichts Neues in der Geschichte des Kapitals – die Bewegung der Arbeitskraft ist für das Kapital wichtig, aber in kontrollierten und selektiven Formen. Das heutige Paradigma beinhaltet ein großes Maß an Mobilität. Es gibt heute sehr große Arbeitsmigrationen, aber sie stehen unter schwerem Zwang. Tatsächlich könnte die Mobilität im Abstrakten wie ein befreierischer Akt wirken, doch in der Realität wäre es für das Leben vieler Menschen tatsächlich besser, unbeweglich zu bleiben. Ich denke, dass Mobilität oft durch politische oder ökonomische Verhältnisse erzwungen ist.
Auf den ersten Blick scheint die Welt in diesem Zeitalter der Globalisierung im ökonomischen oder politischen Sinn zur Vereinheitlichung zu tendieren. Das ist sicherlich nicht wahr. Es gibt den Effekt der Homogenisierung, aber auch die Schaffung neuer Unterschiede. Besonders im wirtschaftlichen Sinn verlangt das Kapital immer schon die soziale und geografische Teilung von Arbeit. Im Rahmen jeder Gesellschaft sind diese Arbeitsteilungen unglaublich unverwüstlich. Auch dabei sind die Bemühungen des sozialistischen Feminismus in den 70er Jahren zu erwähnen. Es ist bemerkenswert, dass sich die Teilung der Arbeit nach Geschlechtern in den letzten 30 Jahren in Euro-Amerika nur geringfügig verändert hat und dennoch kaum noch thematisiert wird. Als das in den 70er und 80er Jahren ein großes Thema war, schien es der Macht der Kritik zu widerstehen. Auch die rassistische Aufteilung von Arbeit ist äußerst widerstandsfähig. Ihre Frage zielt zwar mehr auf die geografische und globale Verteilung der Arbeit, aber was ich damit sage wollte ist, dass Arbeitsteilungen für die Funktion des Kapitals notwendig sind. Warum ist Arbeitsteilung für die Funktion notwendig, werden Sie nun fragen. Nun, es ist ein Profitmechanismus, es hält die Profitrate hoch. Vielleicht ist in allgemeiner, analytischer Weise die Kritik an den verschiedenen Arbeitsteilungen ein wichtiger politischer Ausgangspunkt. Im praktischeren Sinn ist die Freiheit der Bewegung zu aller Arbeit (auch im Sinn von Tätigkeitsfeldern und Einflussnahme, Anm. d. Ü.) ebenso eine wichtige politische Forderung. Teilweise deckt sich das mit der „No Borders“ -Bewegung, aber in einigen Punkten gibt es eine allgemeinere Anwendung. Die Freiheit, sich zu bewegen oder nicht zu bewegen, sollte als Recht gefordert, also als ein Element des politischen Kampfes eingesetzt werden.
dwb: Ich habe eine andere Frage. In früheren Diskursen, vor allem in postmodernen Diskursen, war die Idee der Subversion sehr beliebt. Auf welche Art und Weise stimmt diese mit ihrer Vorstellung von Widerstand überein und auf welche nicht?
MH: Etwas, was in Bezug auf den Begriff Subversion sehr nützlich ist, ist die Erkenntnis, dass wir bereits in die Formen der Macht einbezogen sind. Subversion kommt immer aus dem Inneren. Sabotage auch. Man/frau kann von Judith Butlers Idee der Subversion, im Sinne einer Wiederholung oder Performanz der Norm, aber eben auf abweichende Art und Weise, ausgehen. Wir sind immer schon in eine bestimmte Performanz eines normalisierenden sozialen Raumes verwickelt. Wenn wir aber versuchen, hier Differenz einzubringen, ist das auf gewisse Art eine Subversion der Norm. Mit Sabotage würde es sich etwas anders verhalten, denn die Sabotage bestand ursprünglich darin, einen hölzernen Schuh in die Maschine zu werfen und sie so zu blockieren. Sabotage betont, dass die Maschine selbst in diesem Akt abstrahiert wird. Es mag eine Kontinuität zwischen Subversion und Sabotage bestehen, jedoch unterstreicht Sabotage die Idee der Blockade.
Es ist kompliziert – ich meine, das ist etwas, womit Toni und ich gerade kämpfen ... es ist schwer zu sagen, was heute mit Sabotage gemeint sein kann und wie man/frau das macht. Es sieht so aus, als würde jeder Akt des Widerstandes auf Gleichgültigkeit oder Stillschweigen stoßen. Für uns ist das gerade ein wichtiges Thema.

Das Gespräch mit Michael Hardt führten die weisse blatt und betazine.

   
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